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Stehen bleiben oder voranschreiten?

Das Synodalforum IV zur Sexuallehre bereitet den notwendigen Streit um den richtigen Weg vor

 

Wo wären wir ohne den Neu-Aufschlag zur kirchlichen Sexuallehre in „Amoris Laetitia“ von Papst Franziskus? Ohne diese wohltuende, wertschätzende Sprache, die er über Sexualität und die Menschen findet, die nicht nach den traditionellen Normen der kirchlichen Sexualmoral leben? Ohne die wegweisenden neuen Entwicklungslinien, die er für die Sexuallehre öffnet, z.B. indem er den Begriffs der Gradualität aus Familiaris Consortio von Johannes Paul II. stark macht?

 

Das habe ich mich dankbar beim letzten Videotreffen des Synodalforums 4 „Leben in gelingenden Beziehungen“ gefragt. Wir hätten es so viel schwerer, eine Fortentwicklung der kirchlichen Lehre zu vertreten. Darum ist es wohl ein Kairos, den wir im Synodalen Weg nutzen müssen.


Wir wollen den Aufschlag in Sprache und Haltung von Papst Franziskus aufnehmen und weiter denken. Dafür haben für die Regionalversammlungen im September 10 Voten und eine Selbstverpflichtung zur dortigen Diskussion erstellt und fast mit Einstimmigkeit auf den Weg gebracht. In den strittigen Fragen sind es Gabelvoten, also wie schon in der Vorlage des Vorbereitungsforums zur ersten Synodalversammlung im Januar in Frankfurt, zwei Textvarianten, von denen die eine bei der derzeitigen Lehre stehen bleibt und die andere voranschreitet. Dazu braucht es in den 5 Regionalversammlungen am 4. September nun ein Stimmungsbild und Resonanz, in welche Richtung das Forum weiterarbeiten soll.


Für mich ist sehr erfreulich, dass meine Idee, ein Schuldbekenntnis und eine Selbstverpflichtung zu sprechen in 2 Voten aufgegriffen wurde: Das Schuldbekenntnis als Zitat des Bekenntnisses der Bischöfe der deutschen Sprachgruppe der Familiensynode 2015. Die dortige Formulierung löst weitgehend die Frage nach dem "Wir", also wer seine Schuld bekennt. In dieser Formulierung würde das die Synodalversammlung für die deutsche Kirche (also als ein systemisches „Wir“) sprechen, obwohl nicht jede*r Synodale persönliche Schuld auf sich geladen hat. Die Selbstverpflichtung ist das Votum 11 (allerdings als Gabelvotum, was die Frage der Weiterentwicklung bzw. Reflexion und Vertiefung der Lehre - feiner aber entscheidender Unterschied!)


Alle Voten sind sehr wertschätzend formuliert (auch die "bewahrenden" Gabelvoten). Es beginnt mit dem von allen Forumsmitgliedern unterstützten Votum 1: "Wir verstehen menschliche Sexualität als von Gott geschenkte, positive Kraft und Teil der personalen Identität des Menschen..." (Dafür Zustimmung ganz ohne Diskussion - hätte mich auch gewundert, wenn das nicht konsensfähig wäre, aber man darf sich ja auch über kleine Schritte freuen). Es ist gelungen, so viel wie möglich im Konsens zu formulieren. Das freut mich sehr.


Doch es wird durch die alternativen „Gabelvoten“ deutlich, wo die Knackpunkte sind:

  • Wie gehen wir mit dem großen Graben zwischen der verkündeten Lehre und der Praxis der Gläubigen um?
  •  Wie stehen wir zu Sex außerhalb der Ehe?
  •  Was meint Fruchtbarkeit? Muss jeder Sex auch für Fortpflanzung offen sein? Oder gilt das für die Beziehung als Ganze? Ist Fruchtbarkeit nicht mehr als biologische Fortpflanzung?
  • Beides hat natürlich Konsequenzen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften.
  • Was verstehen wir unter Gewissensfreiheit?
  • Und was ist die Basis: Die Menschenwürde und (sexuelle) Selbstbestimmung, oder das Konzept des Naturrechts: also dass das kirchliche Lehramt aus der Schöpfung den Willen Gottes zweifelsfrei erkennen und festlegen kann?

Prof. Eberhard Schockenhoff, der am Wochenende überraschend gestorben ist, wird uns als Mitglied des Synodalforums bei der Lösung dieser Knackpunkte mit seiner Kompetenz, seiner klugen Argumentation und seiner Entschiedenheit sehr fehlen.

 

Nachdem ich nach der ersten Videokonferenz des Forums im Mai durchaus gemischte Gefühle hatte (die sich mit dem folgenden Ausstieg von Weihbischof Schwaderlapp ja leider bestätigt haben), bin ich nach der letzten Videokonferenz am 6. Juli sehr zuversichtlich gestimmt. Es war ein sehr konstruktives, wertschätzendes Arbeiten, bei dem sich alle Seiten eingebracht haben. Und Textarbeit mit 27 Personen ist wirklich keine leichte, vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit! Eine Konsequenz aus dem Ausstieg von Weihbischof Schwaderlapp wurde deutlich geäußert, dass wir die mediale Deutungshoheit, was katholisch ist, nicht denen überlassen werden, die stehen bleiben wollen.


Birgit Mock und Bischof Helmut Dieser machen eine sehr gute Figur als Teamleitung des Synodalforums. Sie geben mit ihrer ehrlichen Suche nach Antworten und ihrer wertschätzenden Einbindung aller Forumsmitglieder eine gute Richtung vor. So wollen sie beim nächsten Treffen des Forums im Dezember in Würzburg auf einen persönlichen Austausch in kleinen Gruppen setzen. Offenbar hat auch die Bischofskonferenz vor,  in Zukunft so zu arbeiten, - und den notwendigen Streit zuzulassen. Da bin ich wirklich gespannt.

 

Doch genau das ist der richtige Weg – für die Bischöfe, für den Synodalen Weg und die ganze Kirche. Wir sollten für die eigenen Überzeugungen in gegenseitigen Respekt eintreten - und ohne dem*r anderen abzusprechen, katholisch zu sein. Bischof Helmut Dieser hat dafür das „Apostelkonzil“ der frühen Kirche als Vorbild ins Spiel gebracht, mit dem der Konflikt zwischen „Judenchristen“ und „Heidenchristen“ um die richtige Lebenspraxis eine tragfähige Lösung erfahren hat. Unterschiedliche Praxis wurde gegenseitig respektiert und anerkannt. In diese Richtung lohnt sich das Weiterdenken.

 

Marcus Schuck

(Foto: wikipedia.de / karstensfotos)