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Digitalität und Kirche

Die Regionenkonferenz „5 Orte - ein Weg“ statt der ursprünglich geplanten 2. Vollversammlung ist eine Folge von Corona. Und unbestritten hat die Corona-Krise sowohl Digitalisierung als auch Digitalität nicht nur in der Kirche vorangetrieben. Es sind vielfältige digitale Formate von Verkündigung, Liturgie und Vergemeinschaftung sowie caritative Hilfsangebote entstanden. Nicht alle diese Formen sind von gleicher Qualität und nicht alle werden Bestand haben.

 

Bei einer Smartphonenutzung von 80-90% der über 14-Jährigen muss konstatiert werden, dass die digitale Welt längst Realität und Bestandteil unseres alltäglichen Lebens ist. Die Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Gläubigen muss also über kurz oder lang auch zu einer Veränderung der Institution Kirche führen. Wie viele andere hierarchisch strukturierte Institutionen hat allerdings auch die Kirche große Schwierigkeiten mit dieser neuen Welt und ist bisher in Sachen Digitalität weitgehend Analphabet. 

 

„Digital“ stammt von lat. digitus = der Finger ab, jedoch sind Digitalisierung und Digitalität grundlegend zu unterscheidende Begriffe:
Digitalität ist ein Kunstwort aus dem geisteswissenschaftlichen Kontext und meint eine Referenzialität zwischen Dingen, die aufeinander verweisen und kommunikativ verbunden sind. In der Verschränkung von digitaler und analoger Wirklichkeit werden Aspekte des Sozialen in den Veränderungsdiskurs getragen und die Lebenswelten (Arbeits-, Bildungs- und Freizeitwelt) und Handlungssysteme (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft) beeinflusst.

Digitalisierung ist dagegen ein Prozessbegriff, der einerseits die Einführung und Nutzung digitaler Werkzeuge und die Transformation bestimmter Abläufe meint, aber andererseits auch den persönlichen Kompetenzerwerb. So haben sich in den letzten Monaten notwendigerweise viele Menschen mit digitalen Tools für Telefon- und Videokonferenzen sowie cloudbasierten Share- Programmen für gemeinsames Arbeiten an Dokumenten und Projekten vertraut gemacht.

Die innovativen Fortschritte in strukturellen Abläufen der Organisation gilt es jetzt zu überprüfen und ggf. zu implementieren. In diesem Sinne ist Digitalisierung ein Thema für kirchliche Mitarbeiter*innen und natürlich auch für den Synodalen Weg, respektive DBK und ZdK.

 

Dabei ist Digitalität nicht in sich ein Wert oder gar ein zu erreichendes Ziel, sondern schlicht ein Werkzeug, das man einsetzen kann. „So wie man früher aus Backsteinen Kirchen gebaut hat, die auf dem Dorfanger stehen, so nutzt man heute eben digitale Backsteine, um Kirche zu bauen“ (Zitat Jonas Bedfort-Strohm).

Digitalität ist eine Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben und Rechnen, die auch die sogenannten "Digital Natives" erst erlernen und sich erarbeiten müssen. Und es ist zugleich eine ungerechtfertigte Unterstellung, „die Alten“ seien digital nicht erreichbar. Digital kommunizieren kann man in jedem Alter. Die Frage ist, ob man gewillt ist, diese Kommunikationswege zu erlernen oder nicht.

 

Es geht auch nicht erst jetzt in Zeiten von Corona grundlegend um Digitalisierung von kirchlichen Angeboten. Kirche ist längst digital, auch wenn Ordinariate das nicht immer wahrnehmen. Es gibt seit Jahren online Gottesdienste, Exerzitien und Verkündigungsformate und im Social-Media-Bereich längst christliche „Sinnfluencer“. Das sind aber nicht unbedingt die kirchlich Angestellten, sondern Menschen mit vielfältigen Berufungen, die selbständig, unbezahlt und ohne jede hierarchische Kontrolle ihren Content verbreiten. Im Netz kann jede*r Nutzer*in etwas einstellen und Daten frei abrufen. Damit ist die (religiöse) Deutungshoheit nicht mehr wie bisher definiert und kontrollierbar.

Das Internet dient nicht mehr nur zur Informationsweitergabe, sondern erschließt sich als seelsorglicher Raum, in dem sich jene Transformation in die Wirklichkeit zeigt, die für viele Menschen lägst als normal empfunden wird und in der sie selbstverständlich partizipieren.

 

Und digitale Formate sind auch nicht der katechetische Weg zurück ins Analoge, sondern bezeugen und leben Glauben im Heute. Dabei ist das Digitale nicht weniger real als das Analoge, denn mit beidem erreicht man reale Menschen. Daher dürfen digitale und analoge Formate auch mitnichten gegeneinander ausgespielt werden. Beides hat heutzutage Berechtigung und sollte gleichermaßen kompetent von pastoralem Personal begleitet, gefördert und gestaltet werden.

 

Esther Göbel, Mitglied im Forum 1 Macht und Gewaltenteilung