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Von "Mächten und Gewalten"

Machtmissbrauch und Gewalterfahrungen

 

„Macht“ und „Gewalt“ sind Reizwörter, jedenfalls im katholischen Kontext, in dem wir uns ja immer wieder versichern, dass es bei uns eben nicht um die „Macht“ geht, sondern um den „Dienst an den Menschen“. Dabei ist Macht an sich nichts Schlimmes, sie ist einfach da, muss ausgeübt, verteilt und legitimiert werden. Gefährlich wird es erst, wenn nicht über Macht gesprochen wird, denn wenn Macht geleugnet wird, kann sie auch nicht vom Machtmissbrauch abgegrenzt werden.

 

Auch Kolleg*innen der pastoralen Berufsgruppen der Gemeinde- und Pastoralreferent*innen sind dem Macht-Ungleichgewicht in der katholischen Kirche in ihrer täglichen Arbeit ausgesetzt. Wir kennen die Erfahrung der Ohnmacht, weil wir massive Ungleichheit erleben, die leider auch mit sexualisierter Gewalt verbunden sein kann. Auch von solchen Erfahrungen wissen wir.

 

Wie Macht in der katholischen Kirche über Jahrzehnte missbraucht wurde, hat die MHG-Studie (veröffentlicht am 24. September 2018) offengelegt, laut der 4,4% aller Kleriker in den Jahren 1946-2014 sexuellen Missbrauch begingen. Diese Zahl ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da der Zugang zu den Akten nicht völlig frei war, sondern von den Verantwortlichen der Bistümer bestimmt wurde. Wahrscheinlich liegt der Prozentsatz der Kleriker, die sich sexualisierter Gewalt bedienten, noch um einiges höher. Sexualisierte Gewalt ist Machtmissbrauch in schlimmster Form. Und machen wir uns nichts vor: Es hat sie nicht nur in der Vergangenheit gegeben, sondern kommt auch in der Gegenwart immer noch vor.

 

In der Diskussion sind mir folgende Unterscheidungen wichtig geworden:

1. „Sexueller Missbrauch“ oder „sexualisierte Gewalt“?

Es gibt bisher keine allgemein anerkannte Definition von „sexuellem Missbrauch“. Meistens wird er als Synonym mit „sexualisierter Gewalt“ verwendet.

Gemeint sind zunächst sexuelle Handlungen von Erwachsenen an Kindern und Jugendlichen, die als Gewalthandlungen absichtliche körperliche oder psychische Grenzverletzungen darstellen. Ich bevorzuge den Begriff „sexualisierte Gewalt“, weil er stärker verdeutlich, dass es sich um Gewalthandlungen handelt. „Missbrauch“ dagegen insinuiert, dass es auch einen „korrekten Gebrauch“ geben könnte. „Sexualisierte Gewalt“ betont, dass sexuelle Handlungen gegen den Willen der Betroffenen stattfinden, auch wenn sie sich nicht immer wehren. Manchmal sind sie dazu einfach nicht imstande. Täter oder Täterin üben in der Regel körperliche, psychische oder emotionale Gewalt aus und bauen nach und nach ein Abhängigkeitsverhältnis auf, um ihre eigenen Bedürfnisse auf Kosten der betroffenen Person zu befriedigen. Oft nutzen sie dabei ihre Macht- oder Autoritätsposition aus.

Ich setze mich mit anderen für eine Weitung des Begriffs der „sexualisierten Gewalt“ ein, weil sie nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch erwachsene Männer und Frauen betrifft. Gerade Frauen leiden doppelt unter den Machtverhältnissen der katholischen Kirche, weil sie sowohl aufgrund des Geschlechts als auch durch den „klerikalen Überlegenheitshabitus“ (Erzählen als Widerstand, Münster: Aschendorff S. 200) von Priestern gegenüber Laien betroffen sind. Auch wenn Frauen die gleiche Würde wie den Männern in der Kirche zugesprochen wird, haben sie nicht die gleichen Rechte.

 

 

2. Spiritueller Missbrauch“:
Im kirchlichen Kontext besteht darüber hinaus ein Zusammenhang mit spirituellem Missbrauch, häufig als Planung und Vorbereitung sexualisierter Gewalt. Auch für „spirituellen Missbrauch“ gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Laut Doris Reisinger (geb. Wagner) liegt spiritueller Missbrauch dann vor, „wenn Menschen unter Verweis auf religiös begründete Behauptungen unter Druck gesetzt, genötigt oder gezwungen werden, Deutungen ihres eigenen Lebens zu akzeptieren, Handlungen zu vollziehen oder Entscheidungen zu treffen, zu denen sie selbst sich aus freien Stücken nicht entschließen würden“ (Wagner, Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg, S. 79).

Gegen die Selbstbestimmung einzelner wird verstoßen, wenn sich z. B. geistliche Begleiter*innen anmaßen, den Willen Gottes zu kennen und die Freiheit der Betroffenen eingrenzen, in dem sie Gewalt und Zwang ausüben, um „im Namen Gottes“ zu bestimmten Entscheidungen zu drängen. Dabei nutzen sie ihre Macht- und Autoritätsposition aus.

 

3. Verbindung von „spiritueller“ und „sexualisierter Gewalt“

Die Autorinnen des Buches „Erzählen als Widerstand“ (Münster: Aschendorff 2020, S. 22) sehen spirituellen Missbrauch als „häufig integrativer Bestandteil der Planung und Vorbereitung der sexualisierten Gewaltausübung (sog. Grooming-Strategie der Täter*innen)“. Wenn die Täter*in ein geistliches Amt innehat, kann das Macht-Ungleichgewicht zu Ungunsten der begleitenden Person ausgenutzt werden. Die Erfahrung von Machtasymmetrien spielt sowohl bei Geschlechterkonzepten als auch bei Klerikalismus eine Rolle, ebenso bei finanzieller Abhängigkeit und beim unterschiedlichen Zugang zum institutionellen Rechtssystem.

 

Strukturen, die Machtmissbrauch begünstigen und Asymmetrien fördern, müssen dringend hinterfragt und verändert werden. Ich sehe das als zentrale Aufgabe des Synodalen Weges an.

 

Susanne Schuhmacher-Godemann