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Synodalität und Digitalität — Kirche als doppelte Analphabetin

Es ist Halbzeit beim Synodalen Weg. Theoretisch. Praktisch hat Corona auch hier einiges durcheinander und manches zwischenzeitlich zum Stillstand gebracht oder zumindest ordentlich für Verzögerung gesorgt.

Auch die ursprüngliche dritte Synodalvollversammlung findet nun im Rahmen einer Online-Konferenz mit dem Charakter eines Hearings statt. Die Mehrheit der Synodalen konnte sich offenbar nicht zu einem digitalen Format der Vollversammlung durchringen, was die Minderheit sehr bedauert. 

 

Hier zeigt sich wie fast überall in der Gesellschaft eine große Ungleichzeitigkeit in der Beherrschung der neuen digitalen Kommunikationsform. Manche sehen den weiteren Ausfall einer ordentlichen Vollversammlung als Geschenk für zeitlich entspanntere Auseinandersetzungen mit den Inhalten, manche begrüßen dies gar als strategischen Bremsklotz für den Gesamtprozess, und andere sind so selbstverständlich mit digitaler Kommunikation vertraut, dass sie gar keine Begründung sehen, warum die Vollversammlung nicht auch digital durchführbar sein sollte.
Wir alle bemerken aber in diesen Zeiten in beruflichen wie privaten Zusammenhängen, wie die Corona-Pandemie die Veränderungen im Kommunikationsgeschehen beschleunigt. Ich meine, die Digitalisierung hat eine ähnlich kulturumwälzende Wirkung wie einst die Erfindung des Buchdrucks. Viele beherrschen diese neue Sprache noch nicht, und doch ist sie aus unserem Leben bereites nicht mehr wegzudenken.

Neben der geplanten neuen Kommunikationsform „synodal“, kommt also ungeplant noch eine zweite neue Sprache hinzu: „digital“. Wer schon mal im Ausland war, weiß, wie schwer es ist, über komplexe Themen in einer fremden Sprache zu sprechen.

„Synodal“ und „digital“ stellen derzeit eine große Herausforderung für die gewohnten Gremien- und Denkstrukturen in der Kirche dar.

Es herrscht Unmut bei vielen Synodalen in Bezug auf Kommunikationsformen, Informationspolitik, Partizipationsmöglichkeiten und Einflussnahme auf das gemeinsame Geschehen — kurz: die Frage nach der angemessenen Gangart.  Zunehmend wird deutlich, dass die Unterschiede in Sachen Synodalkompetenz mindestens ebenso groß sind wie im Bereich der Digitalität.  Die einen stecken tief in hierarchischen Denk- Sprach- und Handlungsmustern fest — und zwar unabhängig davon, ob sie Veränderungen wollen oder nicht —, die anderen stecken genauso fest in demokratischen Gremien- und Verbandsstrukturen. Beides sind „Tanker“, über deren Schwerfälligkeit eine dritte Gruppe nur staunend den Kopf schütteln kann, die sich auf „normale“ Gesprächs- und Umgangsformen berufen. Die Frage, wie aus dem Synodalen Weg tatsächlich ein gemeinsamer Weg aller (ein „syn-odos“) werden kann, ist nach wie vor ungeklärt. Dass zu dieser Unsicherheit, wie denn nun synodal Kirche-Sein geht, auch noch die Herausforderung der Pandemie kommt und uns noch mal mehr zu neuen Formen drängt, halte ich für eine geistgewirkte Richtungsanweisung, die klar macht: es muss wirklich ganz „neu“ gedacht werden, und nur „ein bisschen anders“ reicht nicht mehr.

 

An dieser Stelle zeigt sich der Synodale Weg tatsächlich als ein gemeinsamer Lernweg der Kirche auf Augenhöhe. Nicht nur Themen, sondern auch Organisation und Kommunikation können sich nicht mehr auf die alten Muster verlassen, sondern müssen neu ge- bzw. erfunden werden. Das „Rumpeln und Stolpern“ gehört beim Erlernen gleich zwei neuer Sprachen sicher dazu. Viel Spannender aber ist hier die Chance zum „Sturz der Mächtigen vom Thron“ und der „Erhöhung der Niedrigen“. Insbesondere die jungen Synodalen haben einen selbstverständlichen Umgang mit Digitalität und die Verbandsvertreter*innen mit Synodalität. In Kooperation mit den außenkirchlichen beruflichen Kompetenzen der frei dazu berufenen „Free-Lancer“-Synodalen, die weder über die Macht eines Amtes noch eine kirchlichen Position verfügen, könnten sie gemeinsam wegweisende Autorität für den Weg entfalten.
Synodal und digital sind nicht nur zwei neue Sprachen, die viele nicht beherrschen, sie gehen in meinen Augen auch Hand in Hand: beide setzen auf Netzwerk statt Zentralismus und leben von der Beteiligung aller. Ein gewisser Kontrollverlust ist dabei inbegriffen. Die digitale Welt bietet einerseits einen hierarchiefreien Raum (alle Nutzer*innen können gleicherweise auf Daten zugreifen oder welche einstellen), ist aber auf der anderen Seite brutal abhängig von Administrator*innen, die Rechte vergeben oder entziehen. Diese kreative Spannung von Hierarchie und Freiheit entspricht genau dem, wie Kirche bereits seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil verstanden wird. Wenn das kein Zeichen der Zeit ist!

 

Esther Göbel