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Alte Zöpfe abschneiden

Symbolisch war das schon mal zu sehen zu Beginn der Zweiten Synodalversammlung in Frankfurt. Auf dem Foto schneidet Marianne Brandt, die Vorsitzende der Stadtversammlung der Frankfurter Katholik*innen, symbolisch ein paar Zöpfe abschneidet. Das war richtig schwierig; die Zöpfe aus Stroh schienen Widerstand zu leisten - ein passendes Bild für das Projekt des Synodalen Weges, Reformen für die katholische Kirche in Deutschland anzugehen. 

 

Kleine, geflochtene Zöpfchen gab es als Ermunterung und Ermahnung an die Synodal*innen, die diese sich an ihre Kleider heften konnten – als Erinnerung, doch bloß mutig zu sein.

 

Ja, wir versuchen mutig zu sein, aber vielleicht sind wir Synodal*innen es manchmal einfach noch zu wenig: vielleicht sind wir zu kooperativ, zu sehr bemüht, es auch wirklich allen recht zu machen.


Deutlich wurde das vor allem für mich bei der Diskussion um den Grundtext des Priester-Forums, der mich wirklich geschockt hat, sowohl in Bezug auf die Sprache als auch auf den Inhalt. Der Text wirkte auf mich so, als hätten seine Schreiber*innen die MHG-Studie und die Versuche der Aufarbeitung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Im Zentrum geht es um die „Rettung der Kirche“, nicht um eine grundlegende Überarbeitung des geistlichen Amtes inklusive Zölibat und seiner Zugänge.

 

Die Forumsmitglieder gaben selbst zu, dass der Text völlig überarbeitet werden muss; die Antragskommission, die die eingegangenen Kommentare der Synodal*innen bündelten, nahmen entsprechenden Änderungsvorschläge auf.

 

Mich überraschte, dass der Grundtext trotz offensichtlicher Mängel angenommen und zur Überarbeitung an das Forum II zurückgegeben wurde.

 

Ich glaube nämlich, dass die Zusammensetzung dieses Forums selbst ein Problem ist: zu viele Kleriker und Ordensleute, zu wenig Lai*innen und viel zu wenige Frauen. Ob das Forum unsere (GR* und PR*) Anregung aufgreifen wird, sich kompetente Leute als Berater*innen hinzu zu holen?


Während wir am Samstag in die Mittagspause gingen, endet um „Fünf nach Zwölf“ ein Gottesdienst von Maria2.0 und anderer Reformgruppen im Kaiserdom. Eine weiter Ermahnung an uns, dass wirklich keine Zeit mehr zu verlieren ist, um endlich Reformen an zu stoßen:

um Missbrauch aufzuarbeiten und möglichst zu verhindern;

um neue Macht- und Beteiligungsstrukturen aufzubauen;

um Diskriminierung von Frauen und nicht-binären Menschen zu beenden;

um zu einer längst überfällig Neubewertung von Sexualität und Lebensformen zu kommen.


Haben wir die „alten Zöpfe“ schon abgeschnitten?

Nein, das haben wir nicht, aber wir fangen an, ein paar neue Strähnen in die Haarmähne hinein zu flechten.

Noch sind es nur „Extensions“, künstliche Strähnen zur Verdichtung und Verlängerung. Aber immerhin, sie sorgen schon jetzt für Verdichtung und mehr Farbe!


So geht es z.B. im Orientierungstext, genau darum, eine neue Strähne in den Zopf der katholischen Überlieferung hinein zu flechten: Neben den klassischen Offenbarungsquellen Schrift, Tradition und Lehramt braucht es heute einen neuen Strang, um den Graben zwischen hierarchisch verfasster Kirche und unserer demokratischen Gesellschaft in Mittel-Europa nicht noch weiter werden zu lassen: unsere heutige Lebenswirklichkeit als „Zeichen der Zeit“ anzuerkennen.

 

Und damit auch anzuerkennen, dass sich kirchliche Strukturen und lehramtliche Aussagen im Laufe der Geschichte immer schon verändert haben und dies auch weiterhin tun werden.

 

Ich hoffe darauf, dass die neue Strähne anwachsen und bunt und in allen Regenbogenfarben leuchten wird.

 

Susanne Schuhmacher-Godemann