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Rechtschaffen müde

Voll unzähliger Eindrücke und widerstreitender Gefühle waren die Tage der Synodalversammlung für mich. Noch heute, am Tag danach bin ich so ausgepowert, dass ich einen langen Mittagsschlaf gebraucht habe.

Es war bei der Anreise noch gar nicht abzusehen, wie das gehen sollte: Eine gemeinsame Versammlung mit Bischöfen, deren Amtsautorität massiv beschädigt ist. Und trotzdem war es die richtige Entscheidung, jetzt erst recht beharrlich an Reformen zu arbeiten. Vieles lag ja auf dem Tisch, was die Kirche wahrnehmbar verändern würde. Und erstaunlich: Es ging!
Wir äußerten — wie viele andere — freimütig unsere Kritik. Auch Bischöfe sprachen davon, dass das Bischofsamt beschädigt sei, und erzählten sehr persönlich von ihren Lernerfahrungen. Diese Offenheit war eine Grundlage, in die konstruktive Arbeit an den vorliegenden Texten einzusteigen.

Und siehe: Ich musste mir wie viele andere die Augen reiben. Denn eine solch breite Zustimmung hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Wir hatten überlegt, ob wir zum Mittel der namentlichen Abstimmung greifen sollten, um die Positionierung der Bischöfe zu erfahren. Das war gar nicht nötig, denn die Beschlussvorlagen erreichten mit 80 Prozent und mehr so hohe Zustimmungswerte, dass man sich ausrechnen konnte, dass auch mindestens zwei Drittel der Bischöfe zugestimmt hatten. Aber nicht nur bei der Abstimmung, auch in der Debatte gab es Unterstützung, vielfältig geäußerten Dank an diejenigen, die die Texte erstellt hatten und konstruktive Kritik. Auch die unterschiedliche Meinung der Bischöfe wurde deutlich - besonders beeindruckend die pointierte Zurückweisung des Vorwurfs Bischof Voderholzers vom „unfehlbaren Lehramt der Betroffenen“, indem Bischof Overbeck sie in die Nähe des „einzig unfehlbaren Lehramts Jesu“ rückte.

Stolz war ich auf die vielen positiven Rückmeldungen am Grundtext des Forums IV, in den ich viel Herzblut und Arbeitszeit investiert habe, der einen Paradigmenwechsel in der Sexuallehre der Kirche bedeutet. Und natürlich die überwältigende Zustimmung von etwa 85 Prozent. Das gibt viel Rückenwind, mit den vielen guten Änderungs- und Ergänzungswünschen einen besseren Text in die zweite Lesung zu bringen. Nach all meinem Ärger über die Unprofessionalität aufgrund der mangelnden Ressourcen im Synodalbüro bei der Texterstellung in den letzten Wochen tat das wirklich gut.

Sehr zufrieden bin ich auch damit, dass das Präsidium sich Esthers und meine Idee einer Erklärung und einer liturgischen Form zum Umgang mit der Schuld des Machtmissbrauchs, der sexualisierten Gewalt und ihrer Vertuschung zu eigen gemacht hat. Da liegt eine Aufgabe vor uns, die viel Sensibilität und Auseinandersetzungen erfordern wird, damit uns die das Menschen glauben können.

Beeindruckend waren auch die vielen Gespräche auf dem Flur, beim Essen und in der Hotelbar. Ich habe einiges direkt adressieren können, neue Menschen kennenlernen und mich mit anderen vernetzen können. Dafür war die Veranstaltung in Präsenz unschätzbar wertvoll. Ganz geplättet war ich vom öffentlichen Lob Nadine Merschs, die vom „segensreichen Wirken“ der GR und PR beim Synodalen Weg sprach, auch weil wir einen „guten Heimathafen“ hätten. Und das habe ich wirklich so erlebt. Die Solidarität unserer Delegationen erlebe ich als Kraftquelle und ungeheure Motivaton.

Hoch motiviert war ich auch am letzten Tag, an dem es gelang, die Ampel für eine dauerhaft synodale Kirche auf grün zu stellen. Ebenso grün leuchtet sie für ein Ende des Predigtverbots – nach all den Jahren und so vielen Verletzungen unter Kolleg:innen. Bis dann das abrupte und höchst ärgerliche Ende wegen mangelnder Beschlussfähigkeit einen unguten Schlusspunkt setzte. Doch auch das tut der insgesamt positiven Bilanz von „Frankfurt 2“ keinen Abbruch.
Ich bin rechtschaffen müde!

 

Marcus Schuck