Der Synodale Weg hat viele gute Papiere und Beschlüsse erarbeitet. Durch ihre Umsetzung sollen die systemischen Ursachen beseitigt werden, die sexualisierte Gewalt und ihre Vertuschung
begünstigen. Mir wurde aber auf dem Weg klar, dass es mehr braucht als gute Papiere. Dass vom Synodalen Weg ein wirksames Zeichen für eine glaubwürdige und spürbare Veränderung in Haltung und
Handeln in der katholischen Kirche ausgehen muss.
Denn wie ich es schon bei der Vorstellung unseres Antrags an das Präsidium auf der 3. Synodalversammlung gesagt habe: „Ich engagiere mich nicht in erster Linie dafür, dass Frauen Priesterinnen
werden (das sollen sie!) oder dass Priester heiraten können (das sollen sie dürfen!). Ich beteilige mich am Synodalen Weg, um ganz konkret etwas gegen die systemischen Missbrauchsstrukturen zu
tun. Es geht mir darum, dass unsere Kirche wieder zu einer Gemeinschaft wird, die die Schwachen schützt, sich um Seelen sorgt und sich am Maßstab des Evangeliums orientiert.“
Insbesondere Marcus und ich haben uns deshalb stark dafür engagiert, dass es neben der Textarbeit in den Synodalforen auch die kreative Arbeit an einem solchen Zeichen der Umkehr geben muss. Am Anfang stand die Idee eines Schuldbekenntnisses der Synodalversammlung für die Missbrauchstaten, um einzugestehen und ins Wort zu heben, dass nicht nur einzelne Täter gegenüber ihren Opfern schuldig geworden sind, sondern auch die Kirche als Ganze.
Geworden ist aus der Idee nun in großartiger Zusammenarbeit mit der Künstlerin Elisabeth Lutz und ihrem Choreograhie-Team die künstlerisch-existentielle Performance „verantwort:ich“, die am
Donnerstagabend (9.3.2023) während der 5. Synodalversammlung im Frankfurter Dom stattfinden und auch im Livestream übertragen wird.
Die vom Synodalen Weg vorgelegten Texte und Handlungsempfehlungen und die zeichenhafte Performance gehören zusammen und verweisen aufeinander und miteinander auf den Anlass und Auftrag des
Synodalen Wegs: die systemischen Ursachen zu verändern, wie sie in der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich
der Deutschen Bischofskonferenz“ („MHG-Studie“) benannt wurden.
Durch die Auseinandersetzung in der von der Synodalversammlung eingesetzten „AG Verantwortung“ wurde schnell klar, dass Schuld nicht verallgemeinert werden kann und auch nicht darf. Denn ich bin
— wie hoffentlich die meisten Synodalen — keine Täterin und ich trage keine persönliche Schuld, die ich bekennen müsste. Aber ich sehe und spüre eine persönliche Verantwortung für das Thema
Missbrauch in unserer Kirche. Es kann also nur um Verantwortungsübernahme für die Zukunft, nicht aber um Absolution für die Vergangenheit gehen. Für das, was geschehen ist, müssen diejenigen
einstehen, die dafür Verantwortung und Leitung innehatten und immer noch haben. Wenn wir aber synodale Kirche sein wollen, geht es nicht nur um Mit-Bestimmung, sondern auch um Annahme und
Mit-Tragen von Verantwortung für eine umkehrende Kirche, die sich neu an den Maßstäben des Evangeliums ausrichtet. Es geht um die Anerkenntnis, dass wir alle teilhaben an der systemischen
Verstrickung, von der wir uns befreien und umkehren müssen. Und niemand von uns kann sagen: Ich habe damit nichts zu tun.
Letztlich ist auch die Synodalversammlung ein Spiegelbild des sozialen Systems Kirche: Ihr gehören Opfer an, vielleicht auch Täter:innen, ebenso wie diejenigen, die ihrer Personalverantwortung
nicht gerecht geworden sind. Aber auch diejenigen, die geschwiegen und weggeschaut haben — und das vielleicht bis heute tun, obwohl sie von Taten, Vertuschungen und Strafvereitelungen wissen. Und
diejenigen, die sich das alles bis heute nicht vorstellen können oder der Hierarchie zu oft naiv Glauben geschenkt haben. Gemeinsam ist allen: Sie sind auf ihre ganz unterschiedliche Weise Teil
der komplexen Geschehnisse um sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch und Vertuschung.
Das Kernmotiv der Performance wird deshalb diese systemische Verstrickung aller Gläubigen in der Kirche mit dem Thema Missbrauch sein. In einem ersten Teil wird es darum gehen, sich dem
auszusetzen, was geschehen ist. Im zweiten Teil wird Raum für die persönliche Auseinandersetzung und eine Reflexion der eigenen Geschichte und Verantwortung gegeben. Und im dritten Teil soll der
Blick bewusst nach vorn gerichtet und die je eigene Verantwortung zeichenhaft angenommen werden — ohne dabei in die Falle einer ästhetischen Auflösung zu tappen oder das Thema abschließen zu
wollen. In der Performance sind vor allem die Menschen im Blick, die durch sexualisierte Gewalt und ihre Vertuschung verletzt wurden. Dass es weitere Formen von Missbrauch und große Verletzungen
gibt, wird nicht negiert und die damit verbundene Schuld und Verantwortung in einigen vorgelegten Texten des Synodalen Wegs thematisiert.
Diese Performance ist ein Zeichen der Synodalversammlung. Es ist unser Zeichen, nicht ein allgemein-repräsentatives für die Kirche in Deutschland. Dennoch kann und soll es auch für andere
Kontexte Beispielcharakter haben. Es ist klar, dass nicht jede:r alle Elemente, Texte oder Symbole in gleicher Weise als passend empfinden wird. Der AG Verantwortung ist es wichtig, zur
Auseinandersetzung mit der persönlichen Verantwortung aller Gläubigen anzuregen und das Gespräch darüber, wie wir alle in Wort und Tat glaubhaft an der Seite der Betroffenen stehen können.
Die Aufdeckung der Missbrauchstaten hat uns bis ins Mark erschüttert und die Aufarbeitung muss deshalb an die Substanz gehen. In “verantwort:ich” kommen Betroffene und Synodale zu Wort. Es wird in Bildern, Texten und Musik sexualisierte Gewalt und der Umgang mit ihr dargestellt. Manche Elemente können belastend und/oder retraumatisierend wirken. Deshalb wird selbstverständlich für ein breit aufgestelltes Unterstützungs- und Gesprächsangebot für die Teilnehmenden vor Ort sowie Hilfenummern für Nutzer:innen des Livestreams gesorgt sein.
Wir sind eine Kirche voller Missbrauchserfahrungen und wir werden über diese Krise nicht irgendwie hinwegkommen. Wir können nur noch Kirche in Gemeinschaft mit den vielen Betroffenen von Gewalt und Missbrauch sein. Sie müssen in der Mitte jeglichen kirchlichen Handelns stehen und dafür müssen wir ihnen zuhören und sie fragen, wie wir zusammen weitergehen können. Genau das haben wir mit der selbstverständlich gemeinsamen Arbeit von Synodalen und Betroffenen in der AG Verantwortung so begonnen und ich hoffe, es wird keine Wege mehr ohne sie geben.
Esther Göbel