Derzeit herrschen Unruhe und auch (ein wenig) Chaos. Kluge Theologie, vorgebracht von bestausgebildeten Fachtheolog*innen, wurde durchdiskutiert und mit dem Leben abgeglichen. Konstruktive Texte sind formuliert, teils beschlossen — und werden von vielen nicht wahrgenommen und von Rom abgekanzelt. Vorsichtige Voten z.B. zum Ende des Pflichtzölibats und noch vorsichtigere zur Frauenweihe sind nur deswegen so vorsichtig, um ihnen eine Chance zu geben — wahrscheinlich dennoch derzeit vergeblich.
Anstatt den Synodalen Weg, wie es zu erwarten war, zu ignorieren, schießen römische Kurienvertreter und auch der Papst permanent und zunehmend argumentationslos auf ihn und seine Mitwirkenden. Sogar der Bischofskonferenzvorsitzende legt die diplomatischen Töne zur Seite. Bischöfe halten am Synodalen Weg fest, während neben ihnen der Nuntius ein ums andere Mal zu verbieten versucht. Während einige richtig Hoffnung haben, wenden sich andere ab.
Es herrscht Verwirrung. Ja streckenweise sogar Chaos. Aber ist das wirklich schlimm? Jahrzehntelang stand da die Erzählung eines unbeweglichen Koloss' Kirche, den die einen als Hort der
Sicherheit priesen, der für andere ein echter Anachronismus war und an dem scheinbar alle Reformbemühungen abtropften, wie Wasser am Federkleid der Ente. Das war schlimm.
Nun folgt eine neue Erzählung: Kirche ist in der Spätmoderne angekommen. Sie muss (und wird) es aushalten, dass plurale Meinungen da sind, dass scheinbar Ewiges hinterfragt wird. Engführungen des
19. Jahrhunderts kommen an ihr Ende. Manche Verantwortungsträger erleben das als Stärkung, andere als bedrohlich. Manche Gläubige erleben es als befreiend, andere als verwirrend.
"Mach den Raum deines Zeltes weit" (Jes 45) formuliert auch Franziskus. Vielleicht ist jetzt mancher in Sorge, dass es zugeht wie beim Zauberlehrling. Dass die jetzt losgehenden, denkenden, formulierenden, abstimmenden und lauten Geister nicht mehr aufhören und die Kirche zerstören. Ich denke anders. Ich erlebe die Mitwirkenden des Synodalen Wegs nicht als gefährliche Geister, sondern eher wie Kundschafter in neues Land. Sie erleben, wie Diskurs aussehen kann — wie auch Streit aussehen kann. Sie laufen und fallen, sie testen und scheitern, sie wagen sich vor und erleben, dass es trägt. Sie erzählen von tragendem Boden und ernten teils Unverständnis bei denen, die noch im alten Land sind. Sie bringen Hoffnung und erleben Rückschläge. Was sie noch zu wenig tun, ist, Mitgehende suchen und Zögerliche einbinden. Das müssen sie lernen.
Wer geglaubt hat, dass am Ende des Synodalen Wegs harmonische Einigkeit steht, war mindestens naiv. Wer hoffte, dass alles besser wird, ist vielleicht traurig. Wer unkte, das habe keine Relevanz, dürfte eines Besseren belehrt sein. Ich bin durchaus zufrieden. Denn es kommt etwas in Bewegung. Es entsteht etwas: Die Erzählung von Kirche in der Spätmoderne, von einer WELT-Kirche im besten Sinne des Wortes. Da wird vieles anstrengender sein als vorher. Da wird es dauern, bis die Realität vom Lehramt eingeholt wird. Da wird vieles nicht mehr so sein, wie wir es gewohnt sind.
Ich werde diese Erzählung von Kirche weiter mitgestalten. Und mittendrin merke ich: Der Prozess hat auch mich verändert. Ich bin ein anderer geworden: Ich habe Verständnis für manches entwickelt, wo ich es nie geglaubt hätte. Ich habe erlebt, wo meine ach so große Toleranz echt Grenzen hat. Ich habe neu erlebt, in wessen Mandat ich handle. Ich bin noch kritischer geworden und fühle mich meiner (ja: meiner!) Kirche noch enger verbunden als vermutlich je zuvor. Meine Zielvorstellungen von Reform haben sich geändert. Mein Kirchenbild hat sich erneuert. Ich stehe am Anfang. Unruhig.
Konstantin Bischoff