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Die eigene Messlatte ist noch nicht übersprungen

Ich will das Erreichte des Synodalen Wegs nicht kleinreden: Ich bin froh über die Beschlüsse zur Neubewertung von Homosexualität, zur Wertschätzung geschlechtlicher Vielfalt und zu Segensfeiern. Ich bin froh über die freie Rede und die synodale Beratungskultur, die wir beim Gehen des Synodalen Wegs gelernt haben – auch viele Bischöfe. Wir sind da hoffentlich noch nicht am Ende der Lernkurve.

 

Die entscheidende Messlatte für den Synodalen Weg aber ist das selbst gesteckte Ziel: eine wirksame Veränderung der systemischen Ursachen sexualisierter Gewalt und ihrer Vertuschung. Diese Latte ist noch nicht übersprungen. Bei weitem nicht. Das liegt zum einen daran, dass gute Beschlüsse wie die einstimmig gefassten zur Prävention erst umgesetzt werden müssen. Vorgesehen ist ja z.B., dass regelmäßig über das Verhalten in Situationen mit deutlichem Machtgefälle reflektiert wird, eine Feeback-Kultur und flächendeckende institutionelle Schutzkonzepte existieren. Diese Maßnahmen haben das Potential, die Kultur der Kirche, was den Umgang mit Macht angeht, grundlegend zu verändern. Dazu braucht es allerdings das entschlossene Vorgehen von Bischöfen und Verantwortlichen in den Bistümern.

 

Zum anderen liegt eine strukturelle Begrenzung von Macht, wie sie im angenommenen Grundtext „Macht und Gewaltenteilung“ beschrieben ist, durch das zögerliche Verhalten der Bischöfe (durch die Vertagung von „Gemeinsam beraten und entscheiden“) erstmal auf Eis. Das ist enttäuschend, denn das wäre nur ein erster Schritt gewesen. Viel grundlegendere Schritte wären nötig, die eine Änderung des Kirchenrechts erfordern. Aber in diesem entscheidenden Punkt kann ich den notwendigen Willen bei den Bischöfen nicht erkennen. Auch die mit der Machtfrage eng verbundene Veränderung des priesterlichen Amts ist noch eine Baustelle. Hier gibt es immerhin eine deutliche Diagnose im Grundtext „Priesterliche Existenz“, aber keine überzeugende Therapie.

 

Etwas optimistischer blicke ich darauf, was die ebenfalls als systemische Ursache ausgemachte Sexuallehre angeht. Obwohl der Grundtext des Forums 4 nicht die notwendige Mehrheit erhielt, ist doch viel in Bewegung gekommen. Und arbeitsrechtliche Konsequenzen wurden schon gezogen. Hier war auch der gesellschaftliche Druck am größten: der Gerichte und der öffentlichen Meinung, entscheidend unterstützt von #OutinChurch. Offensichtlich brauchen die Bischöfe diese Mischung aus Druck und Ermunterung. Und wahrscheinlich bewegt sich in den anderen Bereichen auch erst etwas, wenn Druck und Ermunterung aus Gesellschaft und Volk Gottes steigt und größer wird als der Druck aus Rom.

 

Marcus Schuck

 

 

Replik von Konstantin
Danke, lieber Marcus, fürs immer wieder Zurückführen auf die Gründe des Synodalen Wegs. Ich bin froh, dass im Synodalen Weg durch die Vertreter*innen des Betroffenenbeirats, aber auch Synodale wie dich, die Wurzel des Synodalen Wegs immer neu benannt wurde. Dieses klare Bekenntnis dazu, dass Ziel bleiben muss, strukturelle Begünstigungen für (Macht-)missbrauch zu benennen und zu verringern, bleibt. Hier haben wir zu wenig geschafft. Und das liegt an der Machtfrage. Mich wundert es nicht, dass wir in Fragen der Sexualmoral einiges erreicht haben, denn hier setzt sich im Letzten bei vielen dann wohl doch der Blick auf den Einzelnen durch, der sogar zur Bereitschaft zu doktrineller und rechtlicher Änderung führt. Vor allem lässt er aufgrund der Unmittelbarkeit der Sache, also dem direkten Kontakt zu Menschen, die Lernkurve steil sein.
Im Gegensatz dazu ist die Lernkurve bei den Machtasymmetrien ja fast gar keine Kurve. Das muss sich ändern. Vor allem auch — und daran musst auch du immer weiter erinnern — um die toxische Dimension von nicht-geteilter Macht zu verhindern.