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Schuldbekenntnis sollte erster Schritt sein

Der Pfarrgemeinderatsvorsitzende wird zum Rücktritt aufgefordert, weil er eine Beziehung mit einer Geschiedenen eingeht. Die Erzieherin muss nach einer gescheiterten Ehe ihre neue Partnerschaft ohne kirchlichen Segen beginnen – immer in der Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsstelle im Caritas-Kindergarten. Der Priester darf nicht zu seiner Homosexualität stehen. Der junge Mensch, der sich nicht im binären Frau-Mann-Schema wiederfindet, existiert mit seiner diversen sexuellen Identität für die Kirche gar nicht. Der kirchlich hoch engagierte Mann sagt mir am Ende seines Lebens: „Ich war so blöd, mich daran zu halten, keinen Sex vor der Ehe zu haben. Meine Frau war lesbisch und hat mich nach Jahren einer unerfüllten Ehe verlassen.“ Inzwischen ist er glücklich verheiratet und aus der Kirche ausgetreten.

 

Es gäbe noch viele Geschichten von Menschen zu erzählen, denen durch die katholische Sexuallehre und ihre rigorose Anwendung durch Kirchenvertreter*innen schweres Leid im Namen Gottes zugefügt wurde. Viel zu viele Menschen wurden ausgegrenzt, tief verletzt und in ihrer Menschwerdung behindert. Zu sehr war die Kirche ängstlich darauf bedacht, die Kraft des Sexualtriebs durch Verbote einzuhegen, statt zu ermutigen und unterstützen, mit Hilfe des Gottesgeschenks der Sexualität das Leben reicher und schöner zu machen. Auch die Verbrechen des sexuellen Missbrauchs stehen in Verbindung mit einer kirchlichen Sexuallehre, mit der bis heute Macht ausgeübt und das Leben zu sehr in schwarz und weiß, sündig und richtig eingeteilt wird.

 

Im Synodalen Weg sollte darum am Anfang der Beschäftigung mit dem Thema „Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ ein Schuldbekenntnis stehen. Nur wenn wir als Synodale zu der Schuld stehen, die die Kirche durch ihre Sexuallehre auf sich geladen hat, und die betroffenen Menschen ehrlich um Verzeihung bitten, können wir ehrlichen Herzens einen Neuanfang versuchen und neu aus unserem christlichen Glauben heraus über Sexualität reden und Menschen Orientierung anbieten.

 

Darum bringt das Synodalforum 4, das sich viele gute Gedanken zur Weiterentwicklung der Sexuallehre gemacht hat, in ihrem Votum 10 ein Schuldbekenntnis in die Debatte ein. Dabei wird der Wortlaut des Schuldbekenntnis der Bischöfe des deutschen Sprachraums bei der Familiensynode im Jahr 2015 verwendet, das leider noch viel zu wenig wahrgenommen wurde. Wenn die Synodalversammlung stellvertretend für die katholische Kirche in Deutschland diese Schuld bekennen und um Verzeihung bitten würde, wäre das ein starkes Zeichen, auf das viele Menschen gewartet haben und das sie dankbar aufnehmen würden.

 

Im Votum 11 geht der Vorschlag des Synodalforums 4 noch einen Schritt weiter, indem sich eine Selbstverpflichtung anschließt. Die Synodalen – Bischöfe, Vertreter*innen der Kleriker und der Laien gleichermaßen für ihren Verantwortungsbereich – verpflichten sich „einen wahrhaftigen und überprüfbaren Weg der Umkehr und der Erneuerung zu gehen und für eine Veränderung der Lehre und der Praxis der Kirche im Umgang mit menschlicher Sexualität Sorge zu tragen.“

 

Beides wären wichtige Schritte in die Zukunft. Ohne sie klängen noch so schöne Worte über die kirchliche Sexuallehre hohl. Ich hoffe, dass die beiden Voten in den 5 Regionalkonferenzen des Synodalen Wegs großen Zuspruch erhalten.

 

Marcus Schuck, Mitglied im Synodalforum 4

 

 

 

 

Hier die Voten 10 und 11 im Wortlaut:

 

 

Votum 10: Wir schließen uns dem Bekenntnis der deutschen Sprachgruppe bei der Familiensynode vom Oktober 2015 an: „Kirchliche Begleitung [ist] insbesondere in Situationen der Bedrängnis gefordert […]. Hier gilt es nicht nur anzuerkennen, was die Kirche leistet, sondern auch ehrlich zu sagen, was wir als Kirche versäumt haben: Im falsch verstandenen Bemühen, die kirchliche Lehre hochzuhalten, kam es in der Pastoral immer wieder zu harten und unbarmherzigen Haltungen, die Leid über Menschen gebracht haben, insbesondere über ledige Mütter und außerehelich geborene Kinder, über Menschen in vorehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, über homosexuell orientierte Menschen und über Geschiedene und Wiederverheiratete.“2

 

Votum 11 / Selbstverpflichtungserklärung: Wir [als Kirche] wissen, dass wir begangenes Unrecht nicht wieder gut machen können. Wir wollen aber einen wahrhaftigen und überprüfbaren Weg der Umkehr und der Erneuerung gehen.

 

11.1: Wir verpflichten uns in Treue zur Botschaft Jesu von der Liebe Gottes zu allen Menschen für eine Weiterentwicklung der Lehre und der Praxis der Kirche im Umgang mit menschlicher Sexualität Sorge zu tragen.

 

Alternativvotum zu 11.1: Wir verpflichten uns in Treue zur Botschaft Jesu von der Liebe Gottes zu allen Menschen für eine Reflexion und Vertiefung der Lehre und der Praxis der Kirche im Umgang mit menschlicher Sexualität Sorge zu tragen.