Gewaltenteilung und Menschenwürde in der Kirche

Meiner Heimatzeitung Main-Echo habe ich ein ausführliches Interview zum Synodalen Weg gegeben. Danke an Chefredakteur Martin Schwarzkopf, dass ich es hier veröffentlichen darf.

 

"Ich denke an eine Art Gewaltenteilung"

Marcus Schuck: Der Pastoralreferent aus Miltenberg über die künftige Rolle von Frauen in der katholischen Kirche und ein fundamental anderes Machtverständnis

von unserem Redakteur Martin Schwarzkopf

Aschaffenburg/Miltenberg. Mit dem Synodalen Weg läuft derzeit in der katholischen Kirche ein Diskussionsprozess über notwendige, manche sagen auch überfällige Veränderungen. Die Frontlinie zwischen Reformern und konservativen Bewahrern ist auch rund um die Herbsttagung der deutschen Bischofskonferenz wieder deutlich sichtbar geworden. Doch wie sieht es eigentlich an der kirchlichen Basis aus? Das wollen katholischen Bildungsinitiativen am Untermain in diesem Herbst und Winter mit einer Veranstaltungsreihe herausfinden.

 

Im Vorfeld dieser Reihe haben wir mit Marcus Schuck gesprochen. Der Pastoralreferent aus Miltenberg vertritt seine Berufsgruppe beim Synodalen Weg – und macht im Interview deutlich, dass er für klare Positionen bei Machtfragen, zur künftigen Rolle der Frauen und zur katholischen Sexuallehre einsteht.

 

 

 

Ist eine Institution wie die katholische Kirche überhaupt reformfähig?

 

Sie muss reformiert werden. Schon beim zweiten Vatikanischen Konzil ist festgeschrieben worden: Damit Kirche ihrer Botschaft treu bleibt, muss sie sich immer wieder reformieren und verändern.

 

 

Ist das in der Vergangenheit gelungen?

 

Die katholische Kirche hat das in ihrer 2000-jährigen Geschichte immer wieder getan. Meistens nicht ganz so schnell, oft nicht freiwillig, aber es hat immer wieder Veränderungen gegeben. Das wird auch weiter passieren.

 

 

Beim Synodalen Weg geht es um eine Veränderung der Kirche – im Februar beim Auftakt des Prozesses haben Sie sich sehr optimistisch geäußert, dass der Weg etwas bringen kann. Unter Corona-Bedingungen sind Diskurs-Prozesse nicht einfach. Wie sehen Sie den Synodalen Weg heute?

 

Intensiv thematisch gearbeitet wird beim Synodalen Weg in vier Fach-Foren. In eines dieser Foren, das sich mit der katholischen Sexuallehre beschäftigt, bin ich im Januar gewählt worden. Wir haben gemerkt, dass es schwierig ist, in Videokonferenzen wirklich in die persönliche Auseinandersetzung zu gehen und Meinungsbildung zu betreiben. Deshalb war das in den Corona-Monaten nicht ganz einfach. Dennoch haben wir jetzt im September zu den Regionenkonferenzen, die Corona-bedingt statt einer Vollversammlung aller am Synodalen Weg Beteiligten angesetzt waren, ein Papier vorgelegt mit Voten, das dann auch sehr gut diskutiert wurde. Die Regionen-Konferenzen waren mit ihren 50 Teilnehmern ein Format, bei dem man gut ins Gespräch kommen kann. Alle Beteiligten aus dem Bistum Würzburg waren bei der Konferenz in Ludwigshafen dabei – und das hat sich wirklich gelohnt.

 

 

Was heißt es konkret, wenn Sie sagen: Da wurde gut diskutiert?

 

Wir haben aufeinander gehört, da haben sich Meinungen entwickeln können. Ich habe einen großen Rückenwind für die Arbeit im Forum und für unsere auf Veränderung zielenden Voten mitgenommen. Es gab aber auch viele Anmerkungen und Anregungen zu Aspekten, an die wir bisher nicht gedacht hatten und die wir uns noch genauer anschauen müssen.

 

 

 

Lassen Sie uns auf einzelne Teilthemen schauen. Glauben Sie, dass die Frauen als tragende Säulen in der Kirche endlich so anerkannt werden, wie sie dies verdient haben – und dass am Ende mehr übrigbleiben wird als ein paar schöne Worte?

 

Alle schauen darauf: Werden Frauen am Ende Priesterinnen sein? Ich glaube, dass wir dazu im Synodalen Weg einen Beschluss fassen können, aber wir werden das nicht entscheiden. Die Frage nach dem Priesteramt für Frauen ist aus meiner Sicht außerdem zu kurz gesprungen. Wir brauchen grundsätzlich ein anderes Amtsverständnis: ein Amtsverständnis, das nicht mehr länger davon ausgeht, dass man mit der Priesterweihe auch automatisch eine Leitungsfunktion übertragen bekommt. Es muss vielmehr darum gehen, die Begabungen von Menschen ernst zu nehmen. Ein Beispiel: Jemand, der spirituell viel zu sagen hat, hat nicht unbedingt eine Begabung als Führungspersönlichkeit.

 

 

Wie kann das konkret ausgestaltet sein?

 

Ich denke an eine Art Gewaltenteilung, wie wir sie in unserer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich haben, wie sie aber in kirchlichen Strukturen eben noch nicht verwirklicht ist. Das wäre auch im Sinne der Botschaft von Jesu Christi, Macht zu teilen und wirksame Kontrollinstanzen zuzulassen. Dabei geht es ja gerade um das konkrete Umsetzen zutiefst christlicher Werte wie Menschenrechte und Demokratie, für die die Kirche in der Gesellschaft einsteht und kämpft – die sie aber in ihren eigenen Strukturen nicht praktiziert.

 

 

Heißt: Frauen könnten Gemeindemanagerinnen sein, die sich mit dem Priester die Arbeit aufteilen?

 

Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass Frauen Gemeindeleiterinnen werden. Das geht, das hat der Papst selbst geschrieben. Dabei ist der Unterschied zwischen Pfarrei und Gemeinde wichtig: Die Gemeinde ist die Gemeinschaft unterhalb der rechtlichen Form einer Pfarrei. Das wäre ein Schritt, den wir für uns in Deutschland gehen könnten. Das Frauen-Forum beim Synodalen Weg hat genau zu der Frage, was heute schon möglich ist, viele Vorschläge gemacht – dafür gab es in Ludwigshafen viel Zustimmung, auch von Bischöfen. Es gibt einen breiten Konsens, Frauen in allen Ämtern, die keine Weihe brauchen, deutlich voranzubringen.

 

 

Machtfragen spielen in einer Institution wie der Kirche immer eine große Rolle – glauben Sie, dass die Mächtigen in der Kirche wirklich bereit sind, an ihrem Status rütteln zu lassen?Das wird sich zeigen. Mein Zugang, mich beim Synodalen Weg zu engagieren, war ein sehr persönlicher: Ich habe in Kirchzell erlebt, dass mein Chef sich selbst angezeigt hat, weil er Missbrauch begangen hat. Er wurde in den Ruhestand geschickt. Ich arbeite jetzt in Miltenberg, wo einer der bekanntesten Missbrauchstäter sein Unwesen getrieben hat. Dieser steht bis heute nicht zu seinen Taten und leugnet alles. Ich arbeite mit Menschen zusammen, Frauen und Männer, die er damals missbraucht hat – die sich aber dennoch weiter engagieren. Und ich habe erlebt, dass ein Priester aus Erfurt in den Raum Miltenberg zur Altenheimseelsorge versetzt worden ist. Von ihm hat sich dann herausgestellt, dass er versetzt worden ist, um ihn in Thüringen aus der Schusslinie zu bringen. Das haben offenbar die höchsten Verantwortlichen der Diözesen miteinander ausgehandelt – und die Verantwortlichen vor Ort haben nichts davon erfahren. Das ist fahrlässig, das ist ein schlimmes Beispiel dafür, wie Verantwortung von kirchlichen Leitungskräften nicht wahrgenommen wird. Da müssen wir ran, da muss sich etwas ändern.

 

Warum ist das so?

 

Die zentrale Frage ist: Was habe ich für ein Verständnis von Macht? Sehe ich es als meine erste Aufgabe, die Kirche und ihren Ruf mit allen Mitteln zu schützen? Oder will ich die Menschen schützen? Dabei ist ein wichtiger Aspekt, dass nicht einzelne Männer allein alles entscheiden. Es braucht in der Kirche mehr Leitung im Team, mehr Kontrolle, mehr Beteiligung von Frauen – die mindestens ein Drittel der Ämter ohne Weihe besetzen sollten. Und es braucht eine schonungslose Aufarbeitung, wer in der Vergangenheit was entschieden hat und seine Verantwortung nicht wahrgenommen hat.

 

 

Sie selbst arbeiten beim Synodalen Weg in einer Arbeitsgruppe mit, die sich mit Zölibat, Partnerschaft und Sexualität beschäftigt – wo sehen Sie hier Ansätze für Reformen, für eine Modernisierung?

 

Hier geht es stark um die Frage von Diskriminierung. Die derzeitige Sexuallehre der Kirche wird als sehr diskriminierend erfahren von Menschen, die nicht heterosexuell sind. Man sagt zu ihnen: Schön, dass es Euch gibt – aber Ihr dürft Eure Sexualität nicht leben. Das ist diskriminierend. Ein anderer Bereich ist: Dass Menschen, deren Ehe gescheitert ist, bei einem Neuanfang in einer Partnerschaft nicht mit dem Segen der Kirche für ihre neue Beziehung rechnen dürfen, sondern Ausgrenzung erfahren und als kirchliche Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren können.

 

 

Wie laufen die Diskussionen in diesem Forum inhaltlich ab?

 

Es gibt einen Konsens im Bereich der Werte auch mit denjenigen, die die katholische Lehre nicht verändern wollen: Alle sagen, wir müssen auf die Menschenwürde achten, auf die Selbstbestimmung der Menschen. Für Beziehungen bedeutet das, dass es um etwas Langfristiges, um Treue gehen sollte. Um es klar zu sagen: Bisher ist die Sexuallehre der Kirche schwarz-weiß. Sexualität ist in der Ehe gut, da darf sie gelebt werden. Sonst nirgends. Das trifft einfach nicht mehr unsere Wirklichkeit. Wir haben eine bunte Vielfalt von Beziehungen – und man muss einfach auf jede Beziehung genau schauen: Werden da die Werte, für die wir stehen und zu denen viele in unserer Gesellschaft stehen, gelebt? Das ist auch ohne Trauschein möglich, das ist möglich, wenn sich ein schwules oder ein lesbisches Paar findet und füreinander langfristig Verantwortung übernimmt. Das muss man positiv wahrnehmen und auch den Segen zusprechen dürfen.

 

 

Das Martinushaus in Aschaffenburg und Bildungshaus Schmerlenbach wollen mit einer Vortags- und Diskussionsreihe den Synodalen Weg am Untermain in die Breite tragen – warum ist dieses Vorgehen gerade jetzt sinnvoll?

 

Ich erlebe, dass der Synodale Weg noch nicht so in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird wie dies sinnvoll wäre. Wer sich gut organisiert in diesem Diskussionsprozess, das sind die konservativen Katholikinnen und Katholiken. Wir haben das zum Beispiel bei Online-Diskussionen der katholischen Jugendorganisationen erlebt, da haben sich viele für das Beibehalten der bisherigen Lehre deutlich vernehmlich ausgesprochen. Das ist auch völlig in Ordnung. Diejenigen, die sich Veränderung wünschen, lassen sich offenbar schwerer mobilisieren. Wir brauchen mehr Rückenwind von den Gläubigen in der Kirche, die ihre Stimme erheben und sagen: Es muss sich etwas ändern. Die anderen, wie ich meine: die Minderheit, ist schon sehr laut.

 

 

 

 

 

 

 

 

Hintergrund: Synodaler Weg

 

 

 

Beim Synodalen Weg, den die deutschen Bischöfe im Jahr 2019 als Debattenangebot für mögliche Veränderungen in der katholischen Kirche beschlossen haben, gibt es verschiedene Instanzen: Es sind bis zum Jahr 2022 vier Synodalversammlungen vorgesehen, die aus 230 Mitgliedern (Klerikern und – nicht geweihten – Laien) bestehe. Außerdem werden in vier Fachforen Themenkreise bearbeitet, die aus einer Studie zu den Missbrauchsverbrechen in der Kirche resultierten. Sie sind in der Studie als Risikofaktoren benannt worden:

 

 

  • Die Frage der Macht und der Machtausübung in der Kirche, die streng hierarchisch verstanden wird und wenig demokratische Züge kennt. So fehlt etwa eine wirksame Machtkontrolle. Bei dieser Thematik kann nach Einschätzung von Experten hierzulande am meisten entschieden und vorangebracht werden.

  • Die Frage der nach der Lebensform von Priestern – dahinter verbirgt sich laut Pastoralreferent Marcus Schuck aus Miltenberg „mehr als die Frage nach dem Zölibat, der Ehelosigkeit“.

  • Die Frage der Rolle der Frauen in der katholischen Kirche und ihrer Gleichberechtigung, die so derzeit nicht geben ist.

  • Die Frage nach der Sexuallehre der katholischen Kirche.

 

 

 

Ende Januar ist das nächste Treffen in großer Runde vorgesehen, berichtet Marcus Schuck, der die Berufsgruppe der Pastoralreferenten beim Synodalen Weg vertritt. „In diesen großen Runden wird beraten und beschlossen, was zuvor in den vier thematischen Foren erarbeitet worden ist“, beschreibt Schuck die Arbeitsweise.

 

 

Konservative Kirchenkreise betrachten den Synodalen Weg mit großer Skepsis, weil sie kein „protestantisches Kirchenparlament“ wollen, wie es der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki als Vertreter dieser Strömung genannt hat. Auch im Apparat des Vatikans in Rom als Hüter der „Weltkirche“ gibt es für den deutschen Weg offensichtlich nicht allzu viele Sympathien.

Nach Einschätzung des Kirchenrechtlers Thomas Schüller, der auf der Internetseite tagesschau.de der ARD zitiert worden ist, übe der Vatikan erheblichen Druck auf die deutschen Bischöfe aus. "Rom ist erkennbar nervös und schickt den Kölner Kardinal Woelki und den Regensburger Bischof Vorderholzer vor, die allen zarten Pflänzchen von Reformen kategorisch den Riegel vorschieben", sagt Schüller laut tagesschau.de. Und weiter: Dabei interessiere sich der allergrößte Teil der deutschen Katholikinnen und Katholiken sowieso nicht für den Synodalen Weg, weil faktisch niemand mehr mit Reformschritten rechne, wird Schüllers Auffassung von der ARD wiedergegeben. (msc)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Veranstaltungsreihe „Synodale Wegmarken“

 

 

 

Das Martinushaus Aschaffenburg mit seinem „Martinusforum“ und das Bildungshaus Schmerlenbach bieten unter dem Titel „Synodale Wegmarken“ eine Veranstaltungsreihe zum Synodalen Weg der katholischen Kirche an. Dabei sind diese Veranstaltungen geplant:

 

 

Mittwoch, 14. Oktober, 19.30 Uhr (Tagungszentrum Hösbach-Schmerlenbach): Das Leben und die Liebe – Bibliotheksgespräch mit Synodenteilnehmer Marcus Schuck (Miltenberg) zum Thema Sexualität.

 

 

Montag, 9. November (Franziskushaus Miltenberg) und Dienstag, 10. November (Martinushaus Aschaffenburg), jeweils um 19.30 Uhr: Braucht das Christentum Priester? Neutestamentliche Anfragen an eine scheinbare Selbstverständlich vom emeritierten Professor Martin Ebner aus Schweinfurt.

 

 

Dienstag, 12. Januar, 19.30 Uhr (Martinushaus Aschaffenburg): Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben, erzählt die Autorin Christiane Florin.

 

 

Mittwoch, 27. Januar, 19.30 Uhr (Martinushaus Aschaffenburg): Priesterliche Existenz heute – ein Podiumsgespräch mit Schwester Katharina Ganz (Oberzell), Bischof Peter Kohlgraf (Mainz) und Professor Martin Ebner (Schweinfurt); Moderation: Martin Schwarzkopf (Chefredakteur Medienhaus Main-Echo). (msc)