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Sich der Verantwortung stellen...

 

Alle Bemühungen mit noch so guten Beschlusstexten des Synodalen Wegs um Reformen am System der Kirche, das sexualisierte Gewalt und ihre Vertuschung begünstigt hat, greifen zu kurz,  wenn nicht eine grundlegende Bewusstseins- und Haltungsänderung der Gläubigen mit ihnen verbunden ist. Denn alle in der Kirche, vom Gemeindemitglied bis zum Bischof sind vom Missbrauch „kontaminiert“, wie Hans-Joachim Sander treffend formuliert, und müssen ihre je eigene Verantwortung übernehmen.

 

Eine persönliche und gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Verantwortung ist dafür meiner Überzeugung nach unabdingbar. Sie muss neben der Textarbeit im Synodalen Weg ihren angemessenen Raum bekommen, in dem die Synodalen miteinander über ihre je nach Person unterschiedliche Verantwortung ins Gespräch kommen. Wir Synodalen sollten dabei lernen, sprachfähig zu werden, und daran arbeiten, wie wir unsere Haltung verändern können, um glaubhaft und an Tat und Wort messbar auf der Seite der Opfer zu stehen. Vielleicht kann nach einem solchen Prozess zum Ende des Synodalen Wegs ein auch liturgisch begangener Ritus des Bekenntnisses, der Klage und der Umkehr stehen, der diese Haltungsänderung auch öffentlich bezeugt.

 

Vielleicht wäre das auch ein Anstoß, den der Synodale Weg in seiner Repräsentation der Kirche in Deutschland geben kann, damit diese Auseinandersetzung mit der persönlichen Verantwortung und eine Bewusstseins- und Haltungsänderung auch in Gemeinden, Verbänden, Gemeinschaften erfolgt.

 

Viele werden einwenden: Aber wir sind doch nicht alle schuldig! Und das stimmt: Nur die Täter haben Schuld. Sie liegt allein bei ihnen. Es geht mir nicht darum, die Schuld der Täter oder derjenigen zu vergemeinschaften, die Taten vertuscht oder Strafen vereitelt haben. Sie müssen sich ihrer Verantwortung stellen und Konsequenzen ziehen.

 

Gleichzeitig gibt es Menschen, die Missbrauch nicht wahrhaben wollten, die bewusst weggeschaut haben, Betroffenen nicht geglaubt oder sie gar als Nestbeschmutzer:innen diffamiert haben. In Garching an der Alz, wo Missbrauchstäter X. sein Unwesen trieb, wie ihn das Münchener Gutachten nennt, stellen sich inzwischen Pfarrgemeinderäte und Kirchenverwaltungsmitglieder ihrer Verantwortung und fragen: Wie konnten wir damals den Pfarrer so vehement verteidigen? Das finde ich mutig und nachahmenswert.

 

Ich selbst frage mich: Hätte ich nicht mehr unternehmen müssen, als ein Missbrauchstäter in meine Nachbarpfarrei versetzt wurde, als nur zu versuchen, die Jugendlichen in meinem Verantwortungsbereich zu schützen?

 

Schließlich gibt es – auch in der Synodalversammlung – in Bezug auf die Missbrauchskrise unschuldige Menschen, ja sogar Opfer von Missbrauch. Doch auch sie gehören zur Verantwortungsgemeinschaft Kirche, sind vom Missbrauch kontaminiert und müssen sich immer wieder rechtfertigen, warum sie weiter zur Kirche gehören und sich in ihr engagieren.

 

Mit dieser Verantwortungsgemeinschaft verhält es sich nämlich wie mit der Lehre von der Erbsünde. Wir alle sind – auch ohne persönliche Schuld – in Strukturen der Sünde verstrickt. Auch in Bezug auf die Nazi-Verbrechen, tragen Deutsche keine Kollektivschuld, aber eine besondere Verantwortung.

 

Esther Göbel und ich setzen uns gemeinsam mit Menschen aus allen Synodalforen dafür ein, dass wir uns als Synodalversammlung unserer je eigenen Verantwortung stellen und uns in einem gemeinsamen, sicher auch schmerzhaften Prozess, zu einer Bewusstseins- und Verhaltensänderung auf den Weg machen. Eine Arbeitsgruppe, die die Synodalversammlung einsetzt, sollte diesen Prozess initiieren und steuern.

 

Marcus Schuck